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Alexandra Stefanov ist Sinologin sowie Gründerin von China Impulse, Autorin des Buchs „Digitalisierung Made in China“, Herausgeberin des Magazins „China im Blickpunkt“ und Host des Podcasts „China Impulse – Zukunftstrends aus dem Reich der Mitte“. Im Rahmen von Vorträgen, Workshops und Beratungen gibt sie Einblicke in die chinesische Digitalwelt und zeigt auf, was wir davon für unsere eigene digitale Transformation in Europa lernen können. Zudem promoviert sie an der Universität Marburg zur Digitalisierung der Automobilindustrie im deutsch-chinesischen Kontext.
RÜCKBLICK AUF 2022 UND WEITBLICK IN DIE ZUKUNFT
Was waren die größten digitalen Entwicklungen in China 2022 und warum sind diese Entwicklungen so populär bzw. zu Trends geworden? Sind einige davon auch bei uns angekommen?
Im Jahr 2022 gab es in China zahlreiche spannende digitale Entwicklungen. Hier möchte ich mich zunächst auf drei Trends beschränken, die aus meiner Sicht besonders relevant für den europäischen Markt sind.
Zum einen das Livestreaming E-Commerce, das in China eigentlich schon lange kein neuer Trend mehr ist, denn das Einkaufen über Live-Videos ist dort seit 2016 beliebt. Doch mit der Pandemie hat es einen neuen Boom erlebt und nun entwickelt es sich kontinuierlich weiter. So konnten wir im letzten Jahr beobachten, wie populär die virtuellen Liveshopping-Hosts und Influencer geworden sind. Es handelt sich dabei um KI-basierte dreidimensionale interaktive Figuren, die oft sehr realistisch und menschenähnlich aussehen, wie beispielsweise Ayayi, Ling oder Noah.
Eine weitere Entwicklung im vergangenen Jahr war die Implementierung von Servicerobotern. Sie sind zunehmend in Bereichen mit starkem Personalmangel im Einsatz, wie in der Gastronomie oder in der Pflege. Insbesondere die rasante Alterung der chinesischen Bevölkerung wird dazu führen, dass in den nächsten Jahren immer mehr Roboter menschliche Jobs ausüben werden. Aber auch zur Pandemiebekämpfung und zur Desinfektion spielen die Roboter eine instrumentale Rolle, wie man am Beispiel der Restaurants im Olympischen Dorf bei den Winterspielen in Peking 2022 sehen konnte. In Krankenhäusern übernehmen medizinische Serviceroboter die Bearbeitung von Anfragen und die Bereitstellung von Informationen beim Betreten des Gebäudes, während im OP-Saal erste Neurochirurgie-Roboter die Ärzte unterstützen.
Der dritte Trend, den ich aufgreifen möchte, sind die autonom fahrenden Autos. Diese entwickeln sich in China extrem schnell und werden in Form von Robotaxis schon in den Verkehr integriert. In chinesischen Großstädten wie Peking und Guangzhou fahren seit dem letzten Jahr zahlreiche fahrerlose Taxis von Anbietern wie Baidu oder WeRide, die vermehrt ohne Sicherheitsfahrer unterwegs sind und von den Fahrgästen über Apps bestellt werden können. Bis 2040 wird China vermutlich der größte Markt für autonome Fahrzeuge sein. 66% aller Autos auf den chinesischen Straßen sollen laut einem McKinsey-Bericht bis dahin automatisiert sein. In diesem Zusammenhang wird immer deutlicher, dass sich das Auto in China von einem Produkt zu einer Dienstleistung verwandelt. Für chinesische Autofahrer steht oft nicht mehr das Fahrerlebnis im Vordergrund, sondern die Themen Connectivity und Convenience im Auto. Sie betrachten die Autos als Smartphones auf Rädern.
Zu Trends sind all diese Entwicklungen in China deshalb geworden, weil die chinesische Bevölkerung sehr digitalaffin und offen neuen Technologien gegenüber ist. Der Convenience-Gedanke innerhalb der Bevölkerung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, der dazu beiträgt, dass die Digitalisierung voranschreitet. Gerade in den riesigen chinesischen Metropolen schätzen die Menschen alles, was sich gut in den Alltag integrieren lässt, ihnen das Leben erleichtert und Zeit spart. China ist ein Mobile-Only Land mit fast einer Milliarde Internetnutzern. Die Digitalisierung ist fest im Alltag der sogenannten Netizens verankert und die Online-Offline-Integration, insbesondere mittels QR-Codes und VR, wird wirklich gelebt.
Auch in Europa kommen die digitalen Trends aus China zunehmend an. Das E-Commerce-Livestreaming wird insbesondere seit der Pandemie von immer mehr Unternehmen in ihre Verkaufsstrategie eingebunden. Der Trend steht zwar noch am Anfang der Entwicklung und die Nutzer müssen sich noch daran gewöhnen, aber er ist immer präsenter. Serviceroboter (insbesondere von chinesischen Marken) bedienen immer häufiger die Gäste in Restaurants. Durch den starken Personalmangel auch hierzulande in Gastronomie, Hotellerie, Pflege & Co. findet ein Umdenken statt und es entsteht immer mehr der Bedarf an Robotern. Zusätzlich führt das Vorantreiben des autonomen Fahrens, das auch in Europa angestrebt wird, dazu, dass europäische Automobilhersteller Kooperationen und Joint Ventures mit fortgeschritteneren chinesischen Unternehmen eingehen, um die Forschung und Entwicklung von In-Car-Konnektivitätssoftware und autonomen Fahrtechnologien zu beschleunigen.
Wie sieht die Digitalisierung Chinas in 2023 aus?
Das Metaverse in Zusammenhang mit Extended und Virtual Reality ist auch in China ein heiß diskutiertes Thema. In den kommenden Wochen soll Alibaba inoffiziellen Berichten zufolge sein erstes großes Metaverse-Produkt vorstellen. Es soll sich dabei um einen E-Commerce-Dienst handeln, der es Taobao-App-Nutzern ermöglicht, als Avatar eine virtuelle Umgebung mit Einkaufsstraßen und Werbebildschirmen zu betreten, in der sie auf einem großen virtuellen Display Livestreaming-Inhalte anschauen, Produkte kaufen, mit anderen Usern interagieren und Preise gewinnen können. Die Metaverse Shopping-Welt wird Funktionen beinhalten wie 360-Grad-Produktansichten und virtuelle Anproben von Kleidung, Make-up und Schmuck. In diesem Jahr werden diese virtuellen Welten in China vermutlich rapide zunehmen, denn wir sehen jetzt schon Use Cases wie digitale Hochzeits- und Trauerfeiern sowie andere Online-Zeremonien. Der große Unterschied zum deutschsprachigen Raum ist, dass sich die chinesischen Nutzer auf diese digitalen Produkte schnell einlassen und neugierig sind, diese auszuprobieren.
In diesem Kontext werden auch die virtuellen Menschen mehr an Bedeutung gewinnen. Marktforschungsunternehmen Forrester prognostiziert, dass bis Ende 2023 20% der B2C-Marken in China digitale Influencer verwenden werden. Doch es geht hierbei nicht nur um das virtuelle Shopping, sondern die digitalen Menschen werden mithilfe von Natural Language Processing und Deep Learning in Zukunft in zahlreichen Branchen wie Einzelhandel, Finanzen, Immobilien, Unterhaltung und Tourismus eingesetzt werden, um mit den Kunden zu interagieren. Die Anwendung von 5G und die Forschung und Entwicklung von 6G werden die Industrie der digitalen Menschen weiter vorantreiben. Außerdem soll der Produktionszyklus dieser virtuellen Figuren von mehreren Monaten auf einige Stunden verkürzt und somit auch Kostensenkungen bei der Produktion herbeigeführt werden.
Die Bereiche Transport und Logistik werden in 2023 ebenfalls einen weiteren Fortschritt erleben. Während die Autos immer digitaler werden und die Software zunehmend in den Vordergrund rückt, steigen neue Player aus automobilfernen Branchen in den Elektrofahrzeugsektor ein. So werden wir bald Unternehmen wie Xiaomi und Huawei auf dem Automobilmarkt sehen. Zudem wird die Last-Mile-Delivery mit autonomen Fahrzeugen und Drohnen weiter ausgebaut. Meituan, Chinas führende Lieferserviceplattform, hat bis Ende 2022 über 100.000 Essensbestellungen in Shenzhen (dem Sitz des größten Drohnenherstellers der Welt DJI) per Drohne ausgeliefert. Für dieses Jahr wurde auch Shanghais erste Drohnen-Lieferroute eröffnet, die sich hauptsächlich auf Geschäftsviertel und Bürogebäude konzentrieren wird. Essen und Getränke werden per App bestellt, per Drohne geliefert und von den Kunden in kleinen Verkaufsautomaten am Straßenrand mit einem persönlichen QR-Code abgeholt. Vielleicht wird 2023 sogar richtig futuristisch, indem XPengs fliegendes Auto, das 2022 in Dubai vorgestellt wurde, in Betrieb genommen wird.